1920, Western Electric: erste kommerzielle Public-Address-Anlage angekündigt

Public-Address-System
Abb. 7 aus [Kr. in: ETZ 38 1920]
Nach der erfolgreichen Massenbeschallung des „Liberty Way“ in New York City im Jahr zuvor kündigt die amerikanische Firma Western Electric im März 1920 an, eine Beschallungsanlage auf den Markt zu bringen [anonym in: Electrician 1920, 300]. Auch in Deutschland wird eine entsprechende Meldung veröffentlicht [Kr. in: ETZ 38 1920, 758f.]. Dies sei der „möglicherweise früheste Beleg für die Konstruktion von Lautsprechern unabhängig vom Rundfunkbetrieb“, vermutet Karl-Heinz Göttert, sich wahrscheinlich auf deutschsprachige Publikationen beziehend [Göttert 1998, 423].

„loud speaking telephone“ – Public-Address-Anlage

In der Rubrik „Fernmeldetechnik“ berichtet die Elektrotechnische Zeitschrift (ETZ) 1920 über eine neue Lautsprecheranlage der Western Electric Company bzw. über deren Absicht, solch eine Beschallungsanlage kommerziell zu verwerten. „Lautsprecher“ ist hier im Sinn von ‚Beschallungsanlage‘ gmeint, mit „Hörer“ hingegen wird der einzelne Lautsprecher bezeichnet:

„Lautsprecher der Western Electric Co.“
„Für die Mitteilung von Sport- und sonstigen Nachrichten an eine große Zuhörerschaft, für das Abrufen von Zügen usw. beabsichtigt die Western El. Co. einen Lautsprecher auf den Markt zu bringen. Dieser besteht aus einem Mikrophon, das in Verbindung mit Übertragern geeigneter Wicklung und Verstärkerlampen nach der Schaltung der Abb. 5 auf eine Reihe parallel geschalteter Hörer arbeitet. Das Mikrophon arbeitet zunächst über den Mikrophonübertrager und einen Spannungsregler auf eine der üblichen Kathodenröhren. Die so verstärkten Ströme gelangen über eine Reihe parallel geschalteter Kathodenröhren, deren Anzahl von der Zahl der zu speisenden Hörer abhängt und einen entsprechenden Nachübertrager zu den Hörerstromkreisen. Um Resonanzerscheinungen zu vermeiden, werden nicht Hörer der üblichen Bauart verwendet, bei denen die Elektromagnete unmittelbar auf die Membran einwirken, sondern Hörer nach Abb. 6. Wie die Abbildung erkennen läßt, ist das Magnetsystem an einem Joch befestigt, das mit dem groß ausgebildeten Schallrohr starr verbunden ist. Die horizontal gelagerte Hörermembran steht durch einen Metallstempel mit dem schwingenden Teil des Magnetsystems in Verbindung. Abb. 7 gibt ein Bild von der Ausführung der Lautsprecher am Ort der Verwendung. (‚The Electrician‘, 1920, S. 300.) Kr.“ [Kr. in: ETZ 38 1920, 758f.]

Die Abbildung 7 in der ETZ (repr. in [Göttert 1998, 425]) ist eine sehr detailgetreue Nachzeichnung eines Fotos des englischen Berichts über „The Western Electric Co.’s Loud Speaking Telephone“ in The Electrician vom März 1920 [S. 300], auf den sich der Autor der ETZ bezieht. Zu sehen sind acht an gespannten Seilen aufgehängte, nach unten strahlende Trichterlautsprecher, wie sie in ganz ähnlicher Weise aber weitaus größerer Anzahl bereits 1919 über dem „Liberty Way“ (Park Avenue) in New York City aufgespannt waren, um im Rahmen des dreiwöchigen „Victory Liberty Loan“ die elektroakustisch verstärkten Ansprachen und auch Musik abzustrahlen. Über diese „Spectacular Demonstration of Radiotelephony During the Victory Loan Drive“ berichtete die Electrical Review im Mai 1919 in dem Aufsatz „Speeches Through Radiotelephone Inspire New York Crowds“ [S. 895f.]. Eine dortige Abbildung zeigt einen der 1919 verwendeten Lautsprecher von Western Electric, erkennbar sind die Druckkammer und der Exponentialtrichter.

'loud speaking telephone'
Abb. 6 aus [Kr. in: ETZ 38 1920]
Funktionsprinzip des Lautsprechers
Das Funktionsprinzip von Western Electric Co.’s Loud Speaking Telephone wird in The Electrician nicht näher erläutert, die dort unkommentiert abgebildete technische Zeichnung, die der mit der Bildunterschrift „Hörer besonderer Form für Lautsprecheranlagen“ versehenen Abb. 6 in der ETZ entspricht, zeigt die Druckkammer des Lautsprechers und den Trichteransatz im Schnitt. Die gewellte Membran wird danach mittels einer „Armature“ indirekt von einem vermutlich elektromagnetisch arbeitenden Antriebsmechanismus in Schwingungen versetzt, wobei die Armatur aus einer offenbar drehbar gelagerten Zunge und einem Stift besteht, der die Membran mit der elektromagnetisch bewegten Zunge verbindet.

Eugen Nesper allerdings, der sich in seinem Lehr- und Hilfsbuch „Der Radio-Amateur“ ebenfalls dieser Zeichnung bedient [Nesper 1925a, 527, Abb. 528], ordnet den Wandler in eine von ihm als „Motor-Lautsprecher“ bezeichnete Gruppe ein:

„Einen anderen Lautsprecher für größere Senderenergien zeigt Abb. 528. Demgemäß ist zwischen zwei Magnetpolen eine Armatur angebracht, die in der Mitte zentrisch montiert ist. Infolgedessen kann sie beiderseitig von den Polen angezogen werden. Um die Armatur ist eine Spule gelegt, welche das magnetische Feld erzeugt und entsprechende Polarität besitzt. Die Spule steht fest, während der Motor rotiert. Die infolgedessen in der Armatur ausgelöste mechanische Energie wird mittels eines kurzen Stäbchens auf die gewellt ausgeführte Membran übertragen.“ [Nesper 1925a, 527]

In der von Eugen Nesper herausgegebenen Zeitschrift Der Radio-Amateur findet sich 1924 ebenfalls die technische Zeichnung des Lautsprechers von Western Electric in einer nur wenig modifizierten Form wieder – durch die geringen Änderungen allerdings, vor allem durch das Einzeichnen der Spule, ist nun das elektromagnetische Prinzip zu erkennen und die beigefügte Erklärung wird nachvollziehbar:

„Die Zunge trägt 2 im gleichen Sinne gewickelte Spulen und kann sich um eine Achse A drehen, sobald sie von den durch die Spule fließenden Sprachströmen magnetisiert wird. Erzeugen die Spulen im Augenblick z. B. am linken Zungenende einen Nordpol, am rechten einen Südpol, so dreht sich die Zunge ein wenig im Uhrzeigersinn, da das linke Nordpolende vom oberen linken südpolaren Polschuh und ebenso das rechte Südpolende vom unteren rechten nordpolaren Polschuh angezogen wird. Fließt der Wechselstrom in der entgegengesetzten Richtung, so erfolgt auch die Drehung im anderen Sinn. Diese Drehbewegung der Zunge überträgt sich nun wieder unter Vermittlung des senkrechten Stiftes auf die Membran, die wegen der kreisförmigen Wellungen ähnlich wie der Deckel einer Aneroidbarometerkapsel eine große Durchbiegung erlaubt, wozu ziemlich geringe Kräfte nötig sind. Die schlaff gespannte Membran hat außerdem wegen der kleinen Direktionskraft eine niedere Eigenschwingungszahl und kommt dem aperiodischen Schwingungszustande nahe, den wir beim Siemens-Bandlautsprecher angewendet finden. Man sagt dem Western-Lautsprecher nach, daß er mit guter Lautstärke eine hohe Tonreinheit verbindet und auch noch in einem Orchester die Töne der verschiedenen Instrumente gut auseinanderhält, was man von sehr vielen anderen Lautsprechern nicht immer behaupten kann.“ [Böhm in: Radio-Amateur 32 1924, 862]