Am 9.6.1923 reicht die Firma Siemens & Halske beim Reichspatentamt eine Patentschrift mit dem bescheidenen Namen „Elektrodynamisches Telephon“ ein. Der Erfinder Dr. Hans Riegger beschreibt hierin die Funktionsweise eines elektrodynamischen Wandlers, der als Großlautsprecher unter den Bezeichnungen Blatthaller, Riesen-Blatthaller, Gigant- oder Wotan-Blatthaller in den folgenden Jahren Schlagzeilen machen wird. Bis in die 1930er Jahre hinein wird diese Erfindung aus dem Siemens-Forschungslaboratorium im Bereich des Großlautsprecherbaus sowohl bezüglich Lautstärke, als auch unter dem Aspekt Klanggüte unübertroffen bleiben.
„Elektrodynamisches Telephon“
Blatthaller-Patent von Siemens & Halske [DRP 410114], angemeldet 9.6.1923, Erfinder: Hans Riegger
- Membran
- schlangenförmige Rippe (Aluminiumstreifen)
- Sprechstromanschluss
- Sprechstromanschluss
- Elektromagnete
- Erregerspulen
- Rahmen
- Deckel
Ewald Bratke, Leiter der elektroakustischen Abteilung bei Telefunken, erinnert sich 1936 an die Erfindung des Blatthallers beim Mutterkonzern Siemens & Halske:
„In gleicher Zeit [um 1924] entstanden in den Forschungs-Laboratorien von S. & H. die grundlegenden Arbeiten über den elektro-dynamischen Antrieb von Kolbenmembranen, die heute und wohl immer zum Wissensgut jedes Physikers, der sich mit Akustik beschäftigt, gehören werden. Die darauf beruhenden Lautsprecher, Blatthaller genannt, sind Jahre hindurch verwendet worden. Ihre ersten Einsätze, die in allen Fachkreisen berechtigtes Aufsehen erregten, erfolgten
bei der Eröffnung des Deutschen Museums in München im Mai 1925,
in der damals neuerbauten Autohalle in Berlin,
bei der Physikertagung in Danzig im Jahre 1925
und dann in ununterbrochener Folge bis ins Jahr 1932 hinein. Sie waren die Instrumente, auf die man sich selbst im Freien bei jedem Wetter verlassen konnte; und nur derjenige, der verantwortlich vor Hunderttausenden von Menschen steht, weiß, was eine zuverlässig arbeitende Anlage wert ist.
In jener Zeit entstand der auch heute noch in der Welt einzig dastehende Gigant-Blatthaller für eine Leistungsaufnahme von 1000 Watt. Interessant sind die Pressestimmen aus damaliger Zeit. Es gab nämlich kaum eine Zeitung im In- und Auslande, die nicht diese technische Großtat gewürdigt hätte. Sogar die lustigen Blätter widmeten ihm eine ganze Titelseite. In 20 Kilometer Umkreis und je nach der Windrichtung weit darüber hinaus war er zu hören. Seine Stimme tönte über den Bodensee von Lindau bis an das jenseitige Ufer nach Rorschach. Seine Stimme war so gewaltig, daß die Polizei einschritt, weil kirchliche Handlungen in der weiteren Umgebung von Berlin gestört wurden. Als damals der Tonstreifen ‚Westfront‘ mit Maschinengewehrgeknatter, Granateinschlägen und Schlachtenlärm durchgegeben wurde, war das Ergebnis im wahrsten Sinne des Wortes erschütternd.“ [Bratke in: Telefunken-Kamerad 1 1937, 4f.]
1930, Riesenblatthaller 3 (Gigant): „Ein Lautsprecher, den man bis zu 20km weit hört!“
„Eine solche Lautstärke kann man sich kaum vorstellen. Sie ist Wirklichkeit geworden durch den »Riesenblatthaller 3«. Vieltausendfach verstärkt gibt er Sprache und Musik wieder. Trotz dieser Riesenleistung ist er verhältnismäßig klein.
Der Magnet des »Riesenblatthaller 3« ist außerordentlich stark und – was die Hauptsache ist – er wird mit besonders hohem Wirkungsgrad ausgenutzt. Mit seiner kleinen Polfläche von 200 cm2(das ist ungefähr 2/3 der Größe dieses Prospektes) könnte er 80 Zentner, also etwa das Gewicht eines Lastautos, tragen; und wenn man sonst gewohnt ist, sich unter einer Membran eine dünne Haut vorzustellen, beim »Riesenblatthaller 3« trifft das nicht mehr zu. Hier besteht die Membran aus 1 1/2 mm starkem gewelltem Aluminiumblech, und ihre Ausschläge betragen bis zu 2 cm. Dadurch entstehen natürlich ganz erhebliche Lufterschütterungen, die es unmöglich machen, beim Betrieb des »Riesenblatthaller 3« in seiner unmittelbaren Nähe zu weilen. Auf die nächste Umgebung zu wirken, ist aber auch nicht seine Aufgabe, er soll vielmehr von einem Dach oder von einem Fesselballon aus seine gewaltige Stimme über ganze Stadtteile hinweg dringen lassen.
Auf der Großen Deutschen Funkausstellung wird der »Riesenblatthaller 3« von der Höhe des Funkturmes herab zu hören sein.“ [Siemens-Archiv, SH 3981]
Mit einer lautstarken Werbeaktion macht die Firma Siemens im Juli und August 1930 auf ihren weiterentwickelten Riesenblatthaller aufmerksam, der der Öffentlichkeit als „Gigant-“ oder „Wotan-Lautsprecher“ bekannt gemacht werden soll. Reichweitenversuche mit diesem Hochleistungslautsprecher, im Juli vom Dach des Siemens-Forschungslaboratoriums und Ende August dann vom Berliner Funkturm, lassen die Berliner Bevölkerung und die Besucher der 7. „Großen Deutschen Funkausstellung und Phonoschau“ aufhorchen. Zudem sorgen die zu einer ersten Vorführung am 8.7.1930 geladenen Pressevertreter für ein deutschlandweites Presse-Echo, dessen Umfang von Siemens & Halskes Literaturabteilung schriftlich auf drei Din-A4-Seiten festgehalten wird [Siemens-Archiv, München]. 2½ Seiten davon umfaßt die „Aufstellung über die uns bisher bekanntgewordenen Aufsätze und Notizen über unseren Gigant-(Wotan-)Lautsprecher“, in der 80 Tageszeitungen und Zeitschriften aufgelistet werden, zum Beispiel Deutsche Zeitung (9.7.1930), Mülheimer Zeitung (11.7.1930), Das Industrieblatt (Nr. 31 vom 31.7.1930), Der Radio-Händler (Nr. 15 vom 29.7.1930), Lustige Blätter (Nr. 35 vom 31.8.1930). Auf einer halben Seite werden zudem 20 überwiegend Berliner Zeitungen aufgelistet, in denen „Notizen über unseren Gigant-(Wotan)Lautsprecher auf dem Funkturm montiert“ erschienen.
Das Presse-Echo
„Konzert in 1000 Meter Höhe“
„Gestern nachmittag war gleichzeitig in Spandau, Westend, Siemensstadt Musik zu hören, die von einer geheimnisvollen, irgendwo aufgestellten Kapelle ausgeführt wurde, die späterhin von einem Sänger abgelöst wurde. Diese Musik kam durch einen gigantischen Lautsprecher, der auf dem Dach des Siemens-Forschungslaboratoriums aufgestellt war, und dort der Berliner Presse zum erstenmal im Betrieb vorgeführt wurde. Es handelt sich um einen Lautsprecher von ungeheurer Lautstärke, der bis auf 20 Kilometer Entfernung hörbar ist, und trotz der klangreinen Wiedergabe etwa eine Lautstärke erzeugt, die der eines Orchesters von 2000 Mann entspricht. […]
Von der Firma Siemens wird beabsichtigt, einen riesigen Lautsprecher an einen Fesselballon zu befestigen, und aus 1000 Meter Höhe ein Konzert über einen grossen Teil von Berlin verbreiten zu lassen.“ [Berliner Morgen-Zeitung, Nr. 188, 9.7.1930]
„Konzert über Berlin“
„[…] Welche ungeheuren Leistungen hier in Schall umgewandelt werden, erkennt man am besten daran, dass die Membrane, die sonst bei Lautsprechern Bruchteile eines Millimeters stark ist, hier aus 1,5 Millimeter starkem verstärkten Aluminiumblech hergestellt wurde, damit sie die ungeheure Belastung aushalten kann. Die Membrane führt Schwingungen bis zu einer Grösse von 20 Millimetern aus. Was das bedeutet, erkennt man daran, dass bei den sonst üblichen Lautsprechern die Bewegung der Membrane selbst mit einem Mikroskop knapp sichtbar ist. Diese Schwingbewegungen haben Lufterschütterungen zur Folge, die Entfernung auf 50 Metern noch recht gut bemerkbar sind.
Bei den Physikern, die mit den Vorversuchen an diesem Lautsprecher beschäftigt waren, traten Verdauungsstörungen infolge dieser Erschütterungen auf. […]“ [Berliner Tageblatt, Nr. 318, 9.7.1930, Morgen-Ausg.]
„Wettkampf der Lautsprecher. Stimmen aus der Luft“
„[…] Dieser Lautsprecher ist eigens für Reklamezwecke gebaut worden. Man kann ihn mit einem Fesselballon hochziehen und ganze Stadtteile besprechen. Der Straßenlärm, Eisenbahn- und Flugzeuggeräusche werden völlig übertönt. […]“ [Deutsche Zeitung, Nr. 158a, 9.7.1930]
„Gespräch aus 4000 Meter Höhe“
„Unsere Groß-Flugzeuge werden demnächst mit einer Riesenlautsprecheranlage ausgerüstet werden, welche eine so große Schallenergie abgeben kann, daß der Klang von Sprache oder Musik 20 Kilometer weit trägt. Der Flugzeugführer kann sich also schon in großer Entfernung vom Flugplatz und aus jeder Höhe direkt mit dem Landungsplatz in Verbindung setzen. – Der Lautsprecher wird mit 120 Amp. Sprechstrom beschickt und seine Aluminium-Membrane macht Ausschläge von 20 Millimeter. […]“ [Der Tag, Nr. 162, 9.7.1930]
Ein im Januar 1931 unterzeichneter Vertrag zwischen Siemens & Halske und Herbert Spießen, Inhaber der Miechielsen & Spießen OHG Hamburg, belegt übrigens, daß die in der Presse verkündete Absicht, Flugzeuge mit Großlautsprechern auszustatten, tatsächlich ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Vertragsgegenstand ist die leihweise Überlassung einer „Grosslautsprecheranlage […] zum Einbau in das dreimotorige Gross-Flugzeug ‚Koolhoven F.K.33′“ mit der Option für Spießen, die Anlage nach erfolgreichen Tests für einen noch zu verhandelnden Preis von Siemens zu kaufen (die im Vertrag festgelegte Versicherungssumme für die Anlage beträgt 25000RM). Der Vertrag gibt allerdings keine eindeutige Auskunft darüber, ob die Beschallung der Flugzeugumgebung oder des -innenraumes beabsichtigt war. [Siemens Archiv, 11320]
Elektrotechnische Beschreibung des Blatthallers
In dem 1931 für die Klangfilm GmbH von Fritz Fischer (Zentrallaboratorium Siemens & Halske) und Hugo Lichte (Forschungs-Institut AEG) herausgegebenen Buch „Tonfilm. Aufnahme und Wiedergabe nach dem Klangfilm-Verfahren (System Klangfilm-Tobis)“ werden vier für den Einsatz im Kino geeignete Lautsprechermodelle vorgestellt: der Blatthaller, der Riffellautsprecher, der Rice-Kellogg-Lautsprecher, der Hornlautsprecher. Für die Beschreibung des Blatthallers, der seit 1929 auch in der extrem leistungsstarken Variante als sog. Riesenblatthaller verfügbar ist, zeichnet der seit 1922 im Forschungslaboratorium der Siemenswerke tätige Elektroakustiker Ferdinand Trendelenburg verantwortlich:
„Der Rieggersche Blatthaller ist ein elektrodynamischer Großflächenlautsprecher, bei welchem die angreifenden Kräfte praktisch gleichmäßig über die Membranfläche verteilt sind. Die wiederzugebenden elektrischen Ströme werden einem Kupferleiter zugeführt. Der Leiter ist unter Zwischenlage von Isolierstoffen mäanderförmig auf eine Aluminiummembran aufgenietet […]; der Kupferleiter taucht in das Feld eines kräftigen Elektromagneten […].
Die schallstrahlende Duraluminmembran besitzt eine Stärke von etwa 1/10 mm. Nach einem Vorschlag von H. Gerdien wird die Membran mit einer Wellung versehen. Die Wellung liegt senkrecht zu der Leiterrichtung, man erhält so eine hervorragend wirksame Versteifung der Membran gegenüber Biegungsbeanspruchungen. An den zu den Leitern parallelen Kanten wird die Membran in Filz oder einem ähnlichen nachgiebigen Material gelagert; an den zu den Leitern senkrechten Kanten ist die Membran fest eingespannt, doch ist dafür gesorgt, daß der über die Leiterenden überstehende Teil der Membranfläche so nachgiebig gegenüber Biegungsbeanspruchungen ist, daß die Eigenschwingung der Membran unterhalb des für die Übertragung wichtigen Frequenzbereiches liegt. Der Blatthaller stellt also ein tiefabgestimmtes System dar. Da nur eine enge Randzone Biegungsschwingungen ausführt, arbeitet das System ähnlich einer Kolbenmembran.“ [Trendelenburg in: Fischer/Lichte 1931, 171f.]
Riesenblatthaller
Elektrodynamischer Großflächenlautsprecher von Siemens & Halske, basierend auf dem Patent [DRP 410114] von 1923.
„Zur Zeit [1931] sind verschiedene Blatthallertypen in Gebrauch, der eine, der sogenannte Riesenblatthaller (Abb. 154) besitzt eine strahlende Fläche von etwa 54 x 54cm Größe, sein Feld wird mit etwa 600 Watt erregt und die Wechselstromleistung, welche dem Kupferleiter zugeführt wird, kann bis etwa 300 Watt gesteigert werden. Die große Membranfläche bedingt einen hohen Strahlungswiderstand, man erhält eine sehr beträchtliche Schalleistung.“ [Trendelenburg in Fischer/Lichte 1931, 174]
Schmaler Blatthaller
Elektrodynamischer Großflächenlautsprecher von Siemens & Halske, kleinere Variante des quadratischen Blatthallers von Riegger.
„Die kleinere Type (Abb. 155) ist etwa 20cm breit und 54cm hoch, Feldleistung etwa 200 Watt, Wechselleistung rund 100 Watt. Entsprechend der verhältnismäßig geringen Ausdehnung der Membran in der einen Richtung ist die Richtwirkung in der zu dieser kurzen Membranseite parallelen Ebene verhältnismäßig gering, ein Umstand, der sich für manche praktische Aufgaben vorteilhaft auswirkt, denn man hat ja oft eine flächenhaft verteilte Zuhörerschaft gleichmäßig mit Schall zu versorgen.“ [Trendelenburg in Fischer/Lichte 1931, 174]
1934: Blatthaller versus Konuslautsprecher, das Ende des hallenden Blattes
„Der größte dynamische Konus-Lautsprecher, der bisher gebaut worden ist, verträgt eine Sprechleistung von etwa 60 Watt. Für ganz große Leistungen bis etwa 600 Watt eignet sich der Blatthaller, die bekannte Sonderkonstruktion eines dynamischen Lautsprechers. […] Man darf den Lautsprecher nicht mit größerer Leistung beschicken, als er vertragen kann, wohl aber kann man in den meisten Fällen, abgesehen vom Blatthaller, einen für größere Leistungen gebauten Lautsprecher auch mit etwas kleineren Leistungen betreiben […].“ [Wigge 1934, 27]
Bei dem hier angesprochenen Konuslautsprecher handelt es sich um den Maximus Titan von Körting (Dr. Dietz & Ritter GmbH), dies geht aus Abb. 9 in [Wigge 1934, 28] hervor. Aus dieser Abbildung ist auch ersichtlich, daß dem Maximus-Großlautsprecher zur Erzielung gleichgroßer Schalleistung eine geringere Sprechleistung zugeführt werden mußte als dem Blatthaller, daß also Körtings 1934 leistungsstärkster Konuslautsprecher einen besseren Wirkungsgrad aufwies als die „Sonderkonstruktion“ von Siemens & Halske. Der Blatthaller und zumal der Riesenblatthaller konnten zwar mit größeren Leistungen beschickt werden, ohne daß die Lautsprecher zerstört wurden, arbeiteten aber nicht so effektiv wie die besten Konuslautsprecher der Konkurrenz und verlangten zudem ein gewisses Mindestmaß an zugeführter Leistung, um überhaupt zu arbeiten. Gegen Mitte der 1930er Jahre überwogen somit die Nachteile des berühmten, 10 Jahre lang bei zahlreichen Großveranstaltungen erfolgreich eingesetzten schwingenden Blattes von Siemens & Halske, auch auf dem Gebiet des Großlautsprecherbaus konnte sich der auf Rice und Kellogg zurückgehende dynamische Konuslautsprecher, der bereits den Rundfunk- bzw. Consumer-Bereich erobert hatte, gegen die Spezialkonstruktion aus dem Siemens-Forschungslaboratorium durchsetzen.
Der Ausschnitt eines Fotos aus [Hoffmann (Hg.) 1932] zeigt Hitler im Berliner Lustgarten 1932 (vermutlich 4.4.1932) im Rahmen des Reichspräsidentenwahlkampfes bzw. seiner sog. Deutschlandflüge. Ungefähr in der Bildmitte ist ein Lautsprecher auf einem hohen Dreibeingestell zu sehen, wie es im Freien meist zur Aufstellung von Siemens-Blatthallern verwendet wurde.